Besuch im Gebärch, Entdeckungen in Ziesar und verregnete Sonntagnachmittage

Mal wieder eine Woche bei den Eltern im Erzgebirge. Scheen! Es gibt Geburtstage zu feiern, Freunde zu besuchen und derlei Dinge mehr. Eine Freundin meiner Mutter kommt zu Besuch. “Iiech laas fei ah Dein Blog. Lustsch isser! “ Schön, solche Komplimente! Ansonsten verursacht unsere Entscheidung, von Zürich nach Havelberg zu ziehen, auch immer wieder ungläubliges Staunen. Vor allem in Kombination mit der Tatsache, dass wir ein wirklich sehr altes Haus gekauft haben. Mein Großcousin (Tischler, Alt-Spielzeug- und Antik-Weihnachtskunstsammler) und ich entscheiden daher bei einer der Geburtstagspartys, die Dinge folgendermaßen zu sehen: Uf dor Walt gibt’s Ferrickte und Ni-Ferrickte. (Ich übersetze das grad: Auf der Welt gibt’s Verrückte und Nicht-Verrückte). Wir beide, der Cousin und ich, sagen eh schon immer zueinander: Fer bestimmtes Zeich musste e Ferrickter sei. Und für seine eigene Geburtstagsparty stellt er in Aussicht: Ihr wärd fei richtsch Frähd hamm, do sei nähmisch noch mehr Ferrickte derbei. Dos is quasi e Arweitstraffn. — Auf solche Abende freut man sich einfach.
Zwischen all den Geburtstagsfesten nimmt mich mein Cousin noch mit nauf ins Gebärch. Grienhainichen. Nun ist dieser Ort welthin bekannt für die Firma Wendt & Kühn, und da wär‘ mein Cousin sicher auch gern hingefahren, aber er wusste, wo mir die Augen übergehen würden. Das kleine Bergdörfchen Grünhainichen hat einen riesigen Bahnhof. Und hinter diesem riesigen Bahnhof windet sich die Straße am Bach entlang den Hügel hinauf (ich spreche aus Rücksicht auf meine Leser in der Schweiz bewusst nicht von “Berg”) bis hin zu einem Fachwerkhaus mit Wassermühle und Nebengebäuden. Und alles, alles, alles voll mit alten Sachen. Schränke, Türen, Lavabos, Spiegel, Butterförmchen, Christbaumständer, Sessel, Gaderobenständer, Stühle, Messer, Hausnummern, Bücher, Lampen, Spielsachen, Truhen, Gartenbänke … Meine erste Reaktion: Ich kaufe alles. Der Cousin: “Näh, darfste ni machn.” Jaja, schon gut. War eine Übersprungsaussage. Wir schnerken eine halbe Stunde, eine Stunde, eine anderthalbe Stunde durch die Räume, kommen dabei gar nicht überall vorbei. Ich habe immernoch das Gefühl, ich könnte alles nehmen. Am Ende kaufe ich ein Butterförmchen. Muss es noch nicht mal bezahlen, weil der Cousin in ein historisches Spielzeug, ein Pferdefuhrwerk von 1910, investiert; das Butterförmchen gibt’s geschenkt dazu. Dann zeigt uns der Besitzer, dor Geisler Ralph, noch seine Lagerhallen im Bahnhof. Hunderte von Schränken, Kommoden und Tischen. Und Fliesen, Türen und eine Wendeltreppe aus Naturstein. Uuuuhuhuh! Fragt der Geisler Ralph: Wos brauchstn? — Im Moment fei noch gar nischt. Mir hamm erscht ahgefagn. Mir hamm e Pfarrhaus von siebznhunnertfünfndreissch gekaaft und nu giehts lus mit dor Saniererei. — Aha. — Unn iech bih ah nur dor Inspektionstrupp, mei Chef, also mei Architekt, also mei Mah, muss dann sogn, wos or braucht. — Haa, hmm. Trotzdahm, do kimmste e bissel speht, bis vergangne Woch hattsch nämisch noch enn Aldar unn enne Kanzl von siebznhunnertsexnzwansch do. — Ich überlege: Wär natürlich irgendwie hipp, so ein Altar im Speisezimmer. Oder im Eingang. Aber irgendwie auch bisschen Panne. Wir sind ja kein Kunst-BnB in Amsterdam. Und ich sage zum Geisler-Ralph: Ei, dos is aber schood. Aber im Moment braugn  mer eh mehr su Budnfliesen unn Backstäh und sittes Zeich. — Haa, verstiehsch. Nuja, wenn ewos is, wenn de wos brauchst, kaaste miech ah ahruffn. Iech guck dann. Mach mer dann ah net esu teier wie als wenn de eh Uhhies-scher bist. — Do biech aber fruh, dass-sch noch Arzgebärgsch kah. (Der Cousin macht mich dann noch drauf aufmerksam, dass dor Geisler-Ralph ähfach e guder Ferkeifer is. Bei enn Uhhies-schen bringter dann ähfach argnd enn annern Spruch. Aber dos passt schuh, bei dann Kerl.)

wpid-20150326_171541.jpgAuf der Rückfahrt machen wir einen Abstecher nach Ziesar, statt – wie die Umgehungsstrasse es wöllte – drumrum zu fahren. Und wir sehen in Ziesar die wirklich schöne Hauptstraße. Irgendjemand hat hier angestoßen, dass sich die Läden schöne Beschriftungen an ihren Fassaden leisten. Und: Wir finden ein wunderschön saniertes barockes Haus; das ehemalige Zisterzienserinnenkloster, wie ich grad recherchiert habe. Die Sonne scheint, der Tag ist lau, die Kinder schlafen im Auto. Die Fenster des Hauses öffnen nach außen, haben eine Fensterteilung, die als Referenz herhalten kann und zeigen die Vorzüge von Kastenfenstern. Man kann zwischen den Scheiben noch eine Menge Schnussel unterbringen: Vasen, Kerzenständer, Blumenpötte. Und überhaupt: Es ist saniert. Es wohnen Leute drin. Es lebt. Inklusive wiederkehrender Setzungsrisse.

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Tags drauf, am Sonntag, grausliges Wetter. Regen, Wind, pfui. Zum Glück übernehmen die Großeltern am Nachmittag das große Wichtkind. Wir gehen ins Haus, weiter am Aufmass arbeiten. Ich würde ziemlich was drauf wetten, dass kein Haus im Umkreis von 100 Kilometern so ein exaktes Aufmass hat. Der Gatte vermisst seit Wochen, mit Zollstock, Laser, Nivelliergerät. Seither prüft er die Masse vom Nivelliergerät mit der Schlauchwaage nach. Zwar bekamen wir vom Vorbesitzer Grundrisse vom Haus, aber die waren unbrauchbar. Als ich dann gestern so im Hintereingang stand (bi im Usgang gsi!), das kleine Wichtelchen im Tragegestell auf dem Rücken und die Schlauchwaage in der Hand, hab ich mir so gedacht: Wie machen das eigentlich Leute, die sich so ein Haus kaufen und keinerlei Ahnung vom Aufmessen haben? So Idioten wie ich? Ich sag es ja ohnehin ständig: Ohne den Gatten, meinen Architekten, hätt ich das nie gemacht. Dafür bin ich der Hasenfuss dann doch zu gross. Jedenfalls denk ich beim Schlauchwaage-an-den-30m-ü-NN-Messpunkt-Halten auch dran, dass wir in Zürich manchmal an verregneten Sonntagnachmittagen ziemlich dumm rumsassen. Keine Ahnung, was man machen kann. Jetzt gehen wir ins Haus, vorwärtskommen. Und das fühlt sich gut an.

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Dann geh ich noch zur Einweihung eines Gästehauses hier in Havelberg. Schön geworden. Die Besitzerin, eine große echt Uffgestellti und für mich der Inbegriff von Unerschrockenheit, steht mit Freundinnen vor der Tür. Sieht mich und sagt zu den Mädels: Ja, Mensch, kieke, da isse. Ey, die müsst ihr echt kennenlern’. Die is echt eisenhart, wa! Zieht von Zürich nach Havelberg! — Ja, antworte ich drauf, und nich etwa andersrum. Weil: Dit wär ja einfach.

* Der Vollständigkeit halber hier die Links zur Rochhausmühle: http://www.facebook.com/rochhausmuehle sowie http://www.antiquitaeten-erzgebirge.de

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